Abnehmen? App! Haushaltsbuch? App! Online einkaufen? App! Dolmetschen? App! Mooooooment! Da war doch was, vor Kurzem. Genau. Google proudly presents: Google Interpreter. Brauch ich! Unbedingt. Das Teil kann was. Nämlich 44 Sprachen, beliebig untereinander kombinierbar. Und weil der Mensch auch schön faul ist, wenn man ihn lässt, präsentiert Google Interpreter neben der gesprochenen Übersetzung gleich die möglichen Antworten/Reaktionen, die man gemütlich durch Antippen auswählen kann. Nicht zu vergessen die Videofunktion, mit der man beispielsweise Straßenschilder aufnehmen kann und die passende Übersetzung dazu erhält. Quasi der Dolmetscher aus der Hosentasche, der apphängig unabhängig macht. Man spricht also ins Smartphone, hält dem Gegenüber sein Telefon vor die Nase, dieser kann die Antwort selbst sprechen oder antippen, fertig. Endlich, endlich – erspart man sich im Ausland das mühselige Zusammenklamüsern der Bestellung, während der Kellner hibbelig darauf wartet, dass man ein passendes Vokabular beisammenhat. Kein hochroter Kopf, wenn man mal was falsch ausspricht, kein dauerndes „Äh, Moment“ und so gut wie kein Fehler, zumindest, was die einfache Alltagssprache anbelangt. Aber auch so gut wie kein Blickkontakt, kein Lächeln, kein zwischenmenschlicher Kontakt. Der bleibt bei so etwas nämlich gut und gern auf der Strecke. Wenn man gleich am Ziel ist, muss man sich mit dem Weg gar nicht erst auseinandersetzen. Jegliche Ausschweifung, jegliches möglicherweise aufkeimende Gespräch wird sofort unterbunden. Früher (als alles besser war) ging man im Ausland gemütlich in einheimische Läden, versuchte, mit elementaren Sprachkenntnissen einzukaufen, und wurde das ein oder andere Mal gefragt: „Sie sind aber nicht von hier? Woher kommen Sie?“ Zack, hatte man schon ein kleines Gespräch begonnen. Man verließ den Laden zufriedener, hatte noch das ein oder andere neue Wort mitgenommen und der Tag hatte sein positives Erlebnis. Und jetzt? Smartphone-Zombies, die sich das Denken abnehmen lassen. Erleichtern, vereinfachen – das ist eine Sache. Seinen Geist nicht mehr fordern, ist eine völlig andere Geschichte. Das Gehirn ist nämlich wie ein Muskel: Trainiert man ihn, bringt er Leistung. Vernachlässigt man ihn, verkümmert er. Und auch das Herzchen vereinsamt, wenn es nicht lachen, weinen, fühlen darf. Schneller, perfekter, „billiger“ – das sind die Adjektive, die unsere Zeit prägen. Und was Mensch nicht leisten kann, leistet eben Maschine. Klingt beängstigend? Soll es auch. Wenn Neuerungen den Menschen nicht unterstützen, sondern ersetzen, sollte man sich mal ein paar Fragen stellen. Google schreibt zur neuen App: „Der Interpreter Modus ist da, um Sprachbarrieren abzubauen, egal wo du bist.“ Sprachbarrieren abbauen, zwischenmenschliche Barrieren errichten? Warum nicht selbst sprechen, Fehler begehen, gemeinsam darüber lachen und Kontakte knüpfen? Warum nicht bei Bedarf auf einen die jeweilige Sprache sprechenden Menschen zurückgreifen, der auch mit Gestik, Mimik und individuell gewählten Worten Unterstützung leistet, zwischen den Parteien vermittelt und mit seiner Art und Ausstrahlung für einen menschlich geprägten Gesprächsverlauf sorgt? Überhaupt: Wie zuverlässig ist so eine App eigentlich? Ist sie wirklich geeignet, um beispielsweise Fachgespräche zwischen Ärzten oder Zeugenaussagen vor Gericht zuverlässig und fehlerfrei zu dolmetschen? Man darf schließlich nicht vergessen, dass derartige Apps nicht denken und keine Zusammenhänge erkennen, sondern ihre Inhalte aus riesigen Datenbanken abrufen, die mit vorgefertigten Sätzen bestückt sind (darüber hatten wir schon in unserem Vorgängerartikel über DeepL, eine automatische Übersetzungssoftware, berichtet).
Hand aufs Herz: In welche Richtung gehen wir eigentlich, ist das so richtig? Was meinen Sie? Haben Sie für sich gemerkt, dass Sie unter einer gewissen Apphängigkeit leiden?
By the way: Haben wir uns schon frohes neues Jahr gewünscht? Noch nicht? Dann sei das jetzt nachgeholt. Hätte ich mir doch besser mal eine Erinnerungs-App installiert …